Kein Geld, keine Zukunft, keine Freiheit

Ainoor erzählt von ihrer Familie und den Protesten im Iran.

 

Ainoor sitzt in meinem Büro und erzählt von ihrer Heimat. Wir kennen uns seit zwei Jahren, seit sie ein zweiwöchiges Praktikum im Öffentlichkeitsreferat gemacht hat.

Mit 7 Jahren kam Ainoor nach Deutschland, sie ist im Iran, in Teheran, geboren. „Eigentlich bin ich halb Deutsche und halb Iranierin“, sagt die jetzt 17-Jährige. „Ich bin froh, dass mich meine Eltern hierhergebracht haben und ich in einem sicheren Land lebe.“ Sie hat Träume für ihre Zukunft. Ainoor will gerne eine Ausbildung machen, vielleicht in einem Büro, am liebsten bei uns im Amt für Jugendarbeit, oder etwas mit Mode. Dann erzählt sie von ihrer Familie und vom Iran.

 

Iran ist so ein schönes und reiches Land, aber die meisten Menschen sind arm.

Erst im Sommer war sie mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder in Teheran. „Da ist es total schön“, schwärmt sie. „Überhaupt, Iran ist so ein schönes und reiches Land, aber die meisten Menschen sind so arm.“ Viele gehen betteln und Kinder suchen im Müll nach Essen.

 

Alles und alle werden kontrolliert.

Alles und alle werden kontrolliert, sogar die Parks. Ainoor erzählt, dass sie mit ihrem Cousin in einem wunderschönen Park war „mit so vielen Blumen, die ich bisher nie gesehen habe“. Als sie ein Foto machen wollte, rutschte ihr Kopftuch runter. Schon nach einer Minute kam ein Sittenwächter. „Er hatte mich über die Kameras im Park beobachtet und forderte mich sehr streng auf, mein Kopftuch aufzusetzen.“

 

Aus Protest schneiden sich die Frauen ihre Haare ab.

Ainoor hat lange, schwarze Haare. Sie würde sich diese nicht abschneiden. Aber ihre Tante im Iran hat es getan. Sie hat selbst zwei Töchter und sagte, dass das getötete Mädchen auch ihre Tochter hätte sein können. Ainoor erklärt uns, wie es im Iran zu den Protesten kam. „Das Mädchen ist nur in der U-Bahn gefahren und ihr Kopftuch ist verrutscht“, empört sie sich. „Die Männer haben sie totgeprügelt.“

Nicht nur die Frauen im Iran gehen auf die Straße, auch immer mehr Männer – und vor allem die jüngere Generation. Mittlerweile sind ca. 500 Menschen bei den Protesten ums Leben gekommen, davon etwa 100 Minderjährige. Viele, die im Gefängnis sind, kommen so schnell nicht frei oder ihnen droht die Todesstrafe. Und trotzdem lassen sich die Menschen nicht einschüchtern.

 

„Sei froh, dass Du in Deutschland lebst.“

Auch ihr Cousin geht regelmäßig auf die Straße und protestiert. Seine Familie sorgt sich um ihn. Doch er ist der Meinung, er habe nichts zu verlieren. Sei froh, dass du in Deutschland lebst, sagte er zu Ainoor. „Wir haben hier nichts, kein Geld, keine Zukunft und keine Freiheit.“

Die Jugendlichen haben dort wirklich keine Freiheit, nicht mal Internet, berichtet sie uns. Google, TikTok, alles ist gesperrt. Nur für kurze Zeiträume würde das Internet geöffnet. Doch die meisten Informationen würden eh kontrolliert werden. Um sich zu vernetzen oder zu den Protesten zu verabreden nutzen die Leute Telegram, weil es sicher ist.

 

Wenn der Iran frei wäre, würde sich alles ändern.

„Die Religion bestimmt im Iran alles“, sagt Ainoor. Sie selbst bezeichnet sich als gläubig, aber im christlichen Sinne und sie trägt ein auffälliges, goldenes Kreuz als Halsschmuck. Ihr Vater ist Bahai. Die Familie ihrer Mutter ist muslimisch.

„Doch wenn jemand wirklich gläubig ist, wie kann er das alles machen und wie kann man dann eine Frau töten?“, fragt sie sich. „Sie tun doch nur gläubig, weil sie nicht wollen, dass der Iran ein freies Land wird.“ Wenn der Iran frei wäre, würde sich alles ändern und man würde diese Religionsführer, die Sittenwächter und die Polizei aus dem Land jagen.

 

Unterstützung und Solidarität

Ainoor vermutet, dass es die Menschen im Iran nicht alleine schaffen können. „Da müsste schon Hilfe von außen kommen“, sagt sie. Dass viel Unterstützung und Solidarität aus anderen Ländern kommen, würde den Menschen Kraft geben. Ihren Freund:innen in Deutschland gibt sie den Rat:  „Seid froh, dass ihr in einem freien Land lebt.“ Das war auch das, was ihr ihre Tante beim Abschied in Teheran gesagt hat: „Du hast eine Zukunft und kannst was daraus machen, mach das, wir haben nichts“.

 

Christina Frey-Scholz

Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

 

Aus Sicherheitsgründen haben wir den Namen geändert und „Ainoor“ hat vorsichtshalber ein Tuch aufgesetzt. Normalerweise trägt sie in Deutschland kein Tuch.
Foto: Frey-Scholz

 

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