Erinnerungskultur: Mehr als Gedenken

grenzenlos hoffen – mutig handeln. Gespräch mit Dr. Jörg Skribeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg

 

Anlässlich des 80. Todestags von Dietrich Bonhoeffer interviewten wir Dr. Jörg Skribeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, und wollten von ihm wissen, welchen besonderen Wert Gedenkstätten für ihn haben.

 

Was macht für Sie den besonderen Wert von Gedenkstätten aus?

Die Realitäten in KZ-Gedenkstätten sehen oft anders aus, als man möglicherweise erwartet. Sie sind manchmal ernüchternd, aber viel öfters auch hoffnungsmachend. Und das sage ich nicht, weil das jetzt so gut zum Motto der Veranstaltungen zum 80. Jahrestag der Ermordung Dietrich Bonhoeffers passt. Die Menschen, die die Orte ehemaliger Konzentrationslager besuchen, spiegeln die ganze Breite unserer Gesellschaft, ja sogar die Breite internationaler Perspektiven wider. Diese Orte sind in dieser Hinsicht Seismographen gesellschaftlicher und politischer Zustände.

 

Welche Bedeutung haben diese Orte für das Verständnis von Menschlichkeit?

Man begibt sich an diese Orte oder sucht sie auf, um in den Höllenschlund zu blicken, um sich zu vergegenwärtigen, wohin Hass, Menschenverachtung und Entwürdigung führen. Aber: Es gibt keine gedenkstättenpädagogischen Marineerscheinungen. Der Besuch dieser Orte hat nicht automatisch eine kathartische oder immunisierende Wirkung. Aber er kann Sensibilisierungen auslösen.

 

Anlässlich von besonderen Jahrestagen wird häufig auch über die „Erinnerungskultur“ diskutiert. Was macht für Sie eine zeitgemäße Erinnerungskultur aus?

Gedenkstätten sind demokratische und demokratisierende Stätten, wenn man die Menschen, die sie besuchen, ernst nimmt. Daher setzen wir in all unseren Bildungsprogrammen konsequent auf kommunikative Formate, sowohl im analogen wie im digitalen Raum. Allerdings habe ich immer größere Bauchschmerzen mit dem Begriff „Erinnerungskultur“, auch wenn ich ihn selbst benutze. Und mir wird bei vielen Gedenkfeiern auch immer unwohler, weil sich Formulierungen dort oft wiederholen und manchmal fast phrasenhaft wirken.

 

Wie gelingt es, Erinnerungsorte lebendig zu halten?

Mir ist es wichtig und deswegen ganz deutlich: Es gibt keinen gedenkstättenpädagogischen oder erinnerungskulturellen Masterplan und der moralische Zeigefinger ist oft kontraproduktiv. Wir müssen diese Verbrechensorte befragbar halten und befragbar machen. Nur dann haben sie eine Relevanz für Gegenwart und Zukunft. In Flossenbürg versuchen wir das sehr konsequent und machen damit hoffnungsvolle Erfahrungen.

 

Das Interview führte Patrick Wolf, Referent für Kommunikation.

 

Foto: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

 

80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer
Stimmen zur Veranstaltungswoche „grenzenlos hoffen“ in Flossenbürg

Kirchliche und gesellschaftliche Persönlichkeiten betonen die Aktualität von Bonhoeffers Vermächtnis und die Bedeutung von Erinnerungskultur für junge Menschen:

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Konfrontation mit der Gegenwart“

Oberkirchenrat Klaus Stiegler, Regionalbischof Kirchenkreis Schwaben–Altbayern: „Mahnmal für unfassbare Zivilcourage“

Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten: „Geschichtsbewusstsein wird gestärkt“

Philipp Seitz, Präsident des Bayerischen Jugendrings: „Politische Bildungsprozesse selbst gestalten“