
Evangelische Jugendarbeit im Dritten Reich
Wie eine hauptberufliche Jugendleiterin die NS-Zeit erlebte
Trotz einschneidender und restriktiver Bestimmungen fanden während der NS-Zeit Zusammenkünfte der kirchlichen Jugendarbeit statt – mutig und voller Hoffnung. Ilse Hartmann, Theologin und Jugendleiterin, gehörte genau zu denen, die mutig und voller Hoffnung ihren „Dienst an der Jugend“ ausübten.
1937 wurde sie von Landesjugendpfarrer Heinrich Riedel in die Zentrale der evangelischen Jugendarbeit in Bayern nach Nürnberg berufen. In einem Interview, das 2001 von Wegbegleiterinnen* veröffentlicht wurde, blickt sie auf die Zeit der evangelischen Jugendarbeit während des Dritten Reichs.
Theologin der ersten Stunde
Ilse Hartmann (1911 – 2007) war eine bayerische Theologin der ersten Stunde. Seit der letzten Klasse des Gymnasiums leitete sie in ihrer Münchner Gemeinde einen Jugendkreis und war Kindergottesdiensthelferin. So kam ihr Entschluss, Theologie zu studieren gegen den Rat der meisten Leute, die das für eine Frau unmöglich fanden. „Von oberkirchlicher Seite wurde mir gesagt: Wenn Sie in der Kirche arbeiten wollen, werden Sie Diakonisse“, erzählte sie später. Doch sie studierte Theologie.
Während des Studiums lernte sie u.a. Karl Barth kennen. Er verfasste 1934 die Barmer Erklärung, begründete die Bekennende Kirche mit und rief ab 1938 alle Christen zum auch bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf. Überhaupt, so berichtet Ilse Hartmann, waren die letzten Semester stark vom Kirchenkampf und der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen bestimmt. 1934 legte sie das erste landeskirchliche Examen in Ansbach, 1938 das zweite, ab. Eine Anstellung als Theologin war damals nicht möglich. Erst ab 1946 gab es die Einsegnung zur „Pfarrvikarin“. Frauen wurden in Bayern erst ab 1975 ordiniert – für Ilse Hartmann zu spät.
Auseinandersetzung zwischen kirchlicher Jugendarbeit und der Hitlerjugend
Im März 1934 erfolgte die Eingliederung aller kirchlichen Jugendverbände in die Staatsjugend. Das bedeutete, dass alle kirchlichen Verbände und Vereine (Bündischen Jugend, CVJM, Pfadfinder, Mädchenvereine usw.) für Jugendliche unter 18 Jahren verboten waren. Um ihren Mitgliedern den Zwang, in die Hitlerjugend (HJ) einzutreten, zu ersparen, gingen viele Verbände dazu über, die Mitgliedschaft ganz abzuschaffen.
Die evangelischen Jugendgruppen durften nur noch unter dem Dach der Kirchen Wortverkündigung abhalten. Dies war die Grundlage für die Bildung der Gemeindejugend. Der spätere Oberkirchenrat und damalige Landesjugendpfarrer Heinrich Riedel sorgte dafür, dass die „Umstellung“ gelang. 1937 holte Riedel Ilse Hartmann für die Schülerinnen- und Mädchenarbeit in die Zentrale der evangelischen Jugendarbeit in Bayern nach Nürnberg.
Eingliederungsvertrag (in Kürze), 22.11.34
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- Die einheitliche staatspolitische Erziehung der deutschen Jugend wird dem Staat und seinen politischen Trägern zuerkannt.
- Die Jugendlichen unter 18 Jahren werden in die Hitlerjugend und ihre Untergliederungen eingegliedert.
- Geländesportliche, turnerische, allgemeinsportliche und staatspolitische Erziehung bis zum 18. Lebensjahr geschieht durch die HJ.
- Als Dienstkleidung gilt nur die der Hitlerjugend.
- Dem Evang. Jugendwerk wird für zwei Nachmittage in der Woche und für zwei Sonntage im Monat „die volle Freiheit“ seiner Betätigung in „erzieherischer und kirchlicher Hinsicht“ zugebilligt.
- Für volksmissionarische Kurse und Lager wird vom Dienst in der Hitlerjugend entsprechender Urlaub erteilt.
(Aus Heinrich Riedel „Kampf um die Jugend“, Claudius Verlag, 1976, S. 67)
Evangelisch Jugend nach der Eingliederung
Da waren vor allem die wöchentlichen Jugendstunden. Mittelpunkt der Zusammenkünfte war die Bibelarbeit. Die Freude an der gemeinsamen Arbeit schloss die Gruppen zusammen. Wichtig waren die Freizeiten, die man später „Erholungswochen“ oder „Bibelrüstzeiten“ nannte und die bei der Gestapo angemeldet sein mussten. 1938 fanden in Bayern zum Beispiel noch 108 Freizeiten mit circa 6000 Teilnehmer:innen statt.
1940 wurden die Freizeiten ganz verboten. Während des Krieges wurden dann nur noch Erholungswochen gehalten, die eigentlich nicht legal waren.
Die Verbindung untereinander war durch die Jahreslosung, die Monatssprüche und die Bibellese gegeben. Eine wichtige Gruppe innerhalb der weiblichen Jugend waren die Verantwortlichen, kurz VA genannt. Diese fühlten sich für die Gemeinde und besonders für die Jugendarbeit verantwortlich und wurden für diese Aufgaben geschult. Zu den Zusammenkünften traf man sich oft in den Häusern der Diakonissen, weil diese nicht so überwacht wurden.
Durch den Reisedienst, der von der Zentrale im Hummelsteiner Weg in Nürnberg koordiniert wurde, konnten die Verbindungen zwischen den Jugendgruppen im Land hergestellt werden. Ilse Hartmann besuchte z.B. Mädchenkreise, führte Gespräche mit Pfarrern und anderen Mitarbeitern und war für die Zurüstung der Ehrenamtlichen zuständig. Im Mittelpunkt stand immer die Bibelarbeit. Das Unterwegssein kostete sie viel Kraft. So war sie mit der Bahn, dem Fahrrad, sehr viel zu Fuß und auch auf Skiern unterwegs.
Widerstand bestand im Durchhalten
Während des Krieges wurde der Reisedienst immer schwieriger. Es gab Reisebeschränkungen und Aufenthalte im Luftschutzkeller. Hauptamtliche wurden zum Kriegsdienst eingezogen.
Ilse Hartmann erzählte: „Mich schützte auf meiner Karteikarte, die von der Behörde ausgestellt wurde und bei Kontrollen vorgezeigt werden musste, der Beruf ‚Wicklerin‘. Eigentlich sollte es ‚Vikarin‘ heißen. Aber da konnten sich die Behörden nichts vorstellen und so wurde daraus die ‚Wicklerin‘. Das war früher ein kriegswichtiger Beruf.“ (Wickler war ein Ausbildungsberuf, vgl. Elektroniker für Antriebstechnik).
Natürlich wurden die Bestimmungen auch unterlaufen. Weil wir nicht miteinander wandern durften, machten wir eben eine Exkursion zu einer Kirche mit einer alten, sehenswerten Bibel. Oder, statt auf eine Freizeit zu fahren, erholten wir uns eben zufällig gleichzeitig am gleichen Ort. „Widerstand bestand im Durchhalten.“
Christina Frey-Scholz
ehem. Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
Quellen: https://www.bayern-evangelisch.de/epaper/40-jahre-frauenordination/epaper/ausgabe.pdf
*„Der Weg in die Mitte“ – Erinnerungsgespräche mit Ilse Hartmann Herausgeben von Bettty Meister, Anneliese Hahn, Elisabeth Pirner, 2001
Fotos: Archiv ejb
Foto im Text: https://www.bayern-evangelisch.de/epaper/40-jahre-frauenordination/epaper/ausgabe.pdf
Evangelische Jugend in Bayern – Amt für Jugendarbeit. Eine Ausstellung über die evangelische Jugendarbeit seit 1934
Im 4. Stock im Hummelsteiner Weg 100 in Nürnberg hängen 13 Tafeln zu der Geschichte der evangelische Jugendarbeit in Bayern. Die Ausstellung zeigt: Die Themen, die die Evangelische Jugend in den letzten 90 Jahren beschäftigen, sind immer noch hoch aktuell. Es lohnt sich, die Ausstellung zu besichtigen. Sie kann auch ausgeliehen werden. Alle Informationen zur Ausstellung