Fasten your seatbelts

Über Entzugserscheinungen im Stadtbus – Gedanken von Philipp Müller

 

Die ELFBAR sitzt im Mundwinkel. Die Bauchtasche hängt über der Schulter. Die Haare sind seitlich abrasiert und oben gelgetränkt. Die Solen der weißen Turnschuhe erinnern an Kaugummis. So steht die Teenager-Jungsgruppe an der Busstation. „Zeig gefälligst Respekt!“, sagt einer der Jungen und tippt dabei einem anderen bedrohlich auf die Brust. Ob sich hier gerade ein Streit entwickelt? Das brauch ich jetzt noch zum Feierabend. Pöbelnde Jungs mit viel Testosteron und Alkohol. Dabei war ich in Gedanken gerade in die anstehende Osternacht vertieft.

 

Die Motoren springen an. Das Zeichen zur Abfahrt. Wie befürchtet: Die Gruppe steigt bei mir ein. Das Gespräch ist lauter und rauer geworden. Das muss ich jetzt zwanzig Minuten aushalten. Ich krame nach meinen Kopfhörern. Plötzlich betritt eine ältere Dame mit Rollator den Bus. „Ist das der 4er?“ fragt sie mit zittriger Stimme. Sofort werden die Jungs ruhig. Zwei machen eine Sitzbank frei, ein weiterer antwortet der Frau. „Ja, das ist der 4er. Die Unterführung ist gesperrt. Bis zur Post kommen Sie aber durch.“ Nickend geht die Frau zum Platz. Die Jugendlichen bilden ein Spalier.

 

Ich faste jetzt Vorurteile.

Die Fahrt beginnt, die Jungs switchen wieder in ihren Gesprächsmodus. Das Respekt-Problem von vorhin ist noch nicht geklärt. Trotzdem hat sich etwas verändert. Bei mir. Ich merke, wie schnell ich die Gruppe vorverurteilt hatte. Pubertierende Jungs mit Wodkaflasche und Earpods – Die können ja nur „Störfaktoren“ auf meinem ruhigen Nachhauseweg sein. Doch die Szene mit der Frau hält mir einen Spiegel vor. Was weißt du schon über diese Kids? Ihre Lebensfragen? Ihre Werte? Welche Brille hast du auf, wenn du ihnen begegnest?

Meine Haltestelle kommt. Ich steige aus. Die Gedanken an die Osternacht schiebe ich beiseite. Vorerst will ich mich auf die Fastenzeit konzentrieren. Ich faste jetzt Vorurteile. Ich mache eine Diät vom Schubladendenken. Welche neuen Sichtweisen dadurch wohl zum Leben auferweckt werden? Ich bin gespannt.

 

Philipp Müller
Pfarrer der Jugendkirche luv – junge kirche lindau