Jung, engagiert und trotzdem ausgeschlossen

Warum Jugendliche nicht bei der Bundestagswahl wählen dürfen

 

Bei der Europawahl 2024 durften 16- und 17-Jährige erstmals wählen, ein wichtiger Schritt zur politischen Teilhabe. Bei der Bundestagswahl 2025 dürfen sie das nicht mehr? Aber immerhin gibt es die U18-Wahl, die mehr ist als eine Probewahl und die politische Bildung junger Menschen fördert.

 

Emilio Rubino Emiliano geht in die Wahlkabine, wirft den Wahlzettel in die Urne und spürt pures Glück. „Es war für mich ein bedeutender Moment, ein Teil der Demokratie zu sein“, erinnert er sich. Mit 16 Jahren durfte er zur Europawahl das erste Mal in seinem Leben seine Stimme abgeben. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer. Denn ein Jahr später, bei der Bundestagswahl 2025, wird ihm das Wahlrecht wieder genommen: „Wenn ich sehe, wie viel Verantwortung Jugendliche übernehmen können, sollte das auch im Wahlrecht anerkannt werden.“

 

Emilio ist nur ein Beispiel von rund einer Million junger Menschen in Deutschland. 16- und 17-Jährige durften 2024 bei der Europawahl erstmals ihre Stimme abgeben, für die Bundestagswahl 2025 jedoch nicht. Dabei ist die Wahlerfahrung prägend und kann die langfristige politische Partizipation beeinflussen, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zeigt. Der Wahlrechtsausschluss frustriert viele Jugendliche und wirkt sich negativ auf ihr politisches Engagement aus.

 

Das bestätigt Anna Grebe, Expertin für Jugendbeteiligung: „Viele junge Menschen interessieren sich für Politik, aber dass sie mal wählen dürfen und mal nicht, hält sie möglicherweise davon ab, sich weiter politisch zu engagieren.“ Zudem existiert ein Wahlalter-Flickenteppich: In elf Bundesländern ist das Wahlalter für Kommunal- oder Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt. „Sind junge Menschen in Bayern weniger kompetent als in anderen Bundesländern?“, fragt sie.

 

Auch die 17-jährige Judith Homburger aus München versteht nicht, warum sie bei der Europawahl mitentscheiden durfte, aber 2025 ausgeschlossen ist. „Ich war erwachsen genug für die Europawahl, aber nicht für die Bundestagswahl – das ist absurd.“ Sie macht bis August 2025 ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Evangelischen Jugend in München und organisiert Events mit bis zu 250 Teilnehmenden. „Warum sollte meine Stimme bei einer Wahl deswegen nicht zählen?“

 

Der Jungwähler Emilio Emiliano, der momentan ein Praktikum beim Landtagsabgeordneten Maximilian Böltl (CSU) absolviert, engagiert sich sowohl als Delegierter im Dachverband der bayerischen Jugendvertretungen, als auch im Vorstand der Evangelischen Jugend München. „Die Entscheidungen, die heute getroffen werden, betreffen uns Jugendliche in der Zukunft. Wir sollten frühzeitig einbezogen werden.“ Schließlich trügen junge Menschen bereits ab 14 Verantwortung und engagieren sich in Vereinen – das müsse sich im Wahlrecht und in den Wahlprogrammen der Parteien widerspiegeln. „Die Zeit von 16 bis 18 bringt bei vielen Jugendlichen kaum einen großen Sprung in der Reife“, deswegen finde er die Diskussion um die nötige Reife für irrelevant.

 

Dass 16- und 17-Jährige bereits über eine ausreichende kognitive und moralische Reife verfügen, bestätigen auch politikwissenschaftliche Untersuchungen wie die von Arndt Leininger von der TU Chemnitz. Junge Menschen verstehen demnach politische Entscheidungen, können sie bewerten und sind in der Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen. Eine frühere Einbindung junger Menschen in politische Prozesse fördere deren Interesse und Partizipation. Kritiker wie Prof. Dr. Bernd Grzeszick von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg argumentieren hingegen, dass eine Herabsetzung des Wahlalters auch eine Verschiebung der Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht nach sich ziehen müsse. Und dass es an Lebenserfahrung und persönlicher Reife fehle.

 

Ein unterstützendes Umfeld kann für die Förderung politischer Bildung junger Menschen hilfreich sein: Vorbilder wie Eltern und Jugendleiter:innen können beim Zugang zu Informationen unterstützen, kritisches Denken stärken und sichere wie respektvolle Räume schaffen, um sich auszutauschen und zu diskutieren. Schließlich zeigt Gen Now-Studie auch, dass zwei Drittel der Jugendlichen glauben, die Politik berücksichtige ihre Sorgen nicht ausreichend, während 69 % mehr Beteiligungsmöglichkeiten fordern. Deswegen spiele politische Bildung eine entscheidende Rolle. Die Jugendbeteiligungsexpertin Anna Grebe sieht hier Nachholbedarf: „Schule ist Lebensort Nr. 1, aber auch Vereine, Jugendzentren und das Internet bieten Möglichkeiten, um junge Menschen auf ein früheres Wahlrecht vorzubereiten.“

 

Auch die FES-Studie sieht Potenzial für politische Bildungsmaßnahmen. Mehr als die Hälfte der jungen Wähler:innen fühlten sich vor der Wahl nur mäßig oder schlecht informiert. Politische Themen sollten besser in Schulen und Jugendverbänden integriert werden. Solange junge Menschen noch kein Wahlrecht haben und offiziell an Wahlen teilnehmen dürfen, sind Projekte wie die U18-Wahl wertvoll. Die symbolische Wahl für alle jungen Menschen unter 18 Jahre hilft, Kompetenzen frühzeitig zu entwickeln und langfristiges Engagement zu fördern.

 

Nur Spielerei? Nein, sagt Grebe. Die U18-Wahl ist mehr als eine Probewahl: Vielfältige Aktionen wie Podiumsdiskussionen, Workshops und Mitmach-Materialien machen die U18-Wahl zu einem Projekt der politischen Bildung. „Hier können junge Menschen erste demokratische Erfahrungen sammeln und erleben, dass ihre Stimme zählt“, sagt Grebe. Sie betont, dass die U18-Wahl allen offensteht – unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund. Das stärke das Demokratieverständnis und zeige, dass junge Menschen ernst genommen werden. Allerdings befürchtet sie, dass allein durch die Teilnahme an der U18-Wahl kein politisches Engagement entstehe.

 

Judith Homburger stimmt ihr zu: „Die U18-Wahl zeigt uns, dass unsere Meinung zählt.“ Sie wünscht sich aber mehr Angebote wie Zeitzeug:innengespräche oder Debatten, um Politik greifbarer zu machen. Emilio Emiliano ergänzt: „Die U18-Wahl ist eine tolle Möglichkeit, um zu lernen, wie das Wählen funktioniert und welche Parteien für mich interessant sind.“ Sein Frust ist wieder etwas verflogen, weil er überzeugt ist, dass viele Jugendliche, die jetzt nicht mitwählen dürfen, sich noch stärker als zuvor engagieren. Das Potenzial ist groß: Eine Million junge Menschen dürfen bei der Bundestagswahl 2025 nicht mitwählen – weil sie 16 oder 17 Jahre alt sind.

 

Patrick Wolf
Referent für Kommunikation

 

Grafik oben: istock/smartboy10
Foto im Text: privat