
Wahlalter für junge Menschen senken
Für eine starke Jugendbeteiligung – Interview mit Dr. Anna Grebe
Warum es endlich Zeit ist, das Wahlalter für junge Menschen zu senken, was die Jugendarbeit tun kann, um junge Menschen darauf vorzubereiten und welche Rolle die U18-Wahl spielt. Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Anna Grebe, die sich seit vielen Jahren als Expertin für eine starke Jugendbeteiligung und Jugendpolitik einsetzt, in einem Interview mit Patrick Wolf, Referent für Kommunikation der Evang. Jugend in Bayern.
Bei der Europawahl 2024 durften 16- und 17-Jährige erstmals mitwählen. Zur Bundestagswahl dürfen sie jedoch keine Stimme abgeben. Was spricht dafür, das Wahlalter zu senken?
Zum einen, dass Jugend-Studien zeigen, dass viele junge Menschen sich sehr wohl für Politik interessieren, aber das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird. Sie entscheiden sich deshalb auch gegen ein ehrenamtliches Engagement oder eine tiefere Beschäftigung mit politischen Prozessen. Die Möglichkeit, wählen zu dürfen und so direkt Einfluss auf Politik nehmen zu können, könnte ihre Motivation erhöhen, sich an der Gestaltung von Gesellschaft zu beteiligen. Zum anderen existiert zum jetzigen Zeitpunkt ein Wahlalter-Flickenteppich: Auf europäischer Ebene und in einigen Bundesländern darf man mit 16 Jahren wählen, in anderen mit 18 an den Landtagswahlen teilnehmen, in manchen Bundesländern darf man mit 16 kommunal wählen, aber nicht auf Landesebene. Gibt es Unterschiede zwischen jungen Menschen in Bayern und Baden-Württemberg in Bezug auf ihre Wahlfähigkeit? Sind für die Teilnahme an den Bundestagswahlen andere Kompetenzen notwendig als für die Europawahlen? Ich glaube, das lässt sich argumentativ nicht halten.
Schule ist der Lebensort Nr. 1 für Kinder und Jugendliche. Welche Rolle spielen das Bildungssystem und die Jugendarbeit dabei, sie auf politische Teilhabe vorzubereiten?
Wenn junge Menschen nicht in der Schule sind, dann engagieren sie sich in Vereinen und Verbänden oder sind in Jugendzentren und Jugendtreffs, aber auch im Internet. Überall dort haben junge Menschen gemäß der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Teilhabe, auch in Bezug auf Politik. Das heißt, dass sie überall dort in Kontakt mit politischen Fragestellungen kommen sollten. Das bedeutet aber nicht, dass sie von klein auf in Politik unterrichtet werden sollen, sondern dass sie überall Erfahrungen der Selbstwirksamkeit machen sollen dürfen und können. Sie sollen an den Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt werden, mithilfe kind- und jugendgerechter Methoden und Sprache. Wenn sie erleben, dass ihre Mitwirkung einen Unterschied macht, dass Kompromisse positive Effekte haben, dass ihre Meinung etwas zählt: Dann werden sie optimal auch auf die „großen“ politischen Entscheidungen vorbereitet.
Die Diskussion um die Absenkung des Wahlalters geht häufig mit der Forderung einher, die politische Bildung für junge Menschen zu stärken. Welche Maßnahmen braucht es, um sie auf ein früheres Wahlrecht vorzubereiten?
Wir brauchen mehr Gelegenheiten für politische Bildung und Mitbestimmung in allen Lebensbereichen und für alle Menschen, unabhängig davon, wie alt sie sind, ob sie einen deutschen Pass haben oder auf welche Ressourcen sie zurückgreifen können. Junge Menschen wünschen sich, mehr an Entscheidungen in ihrer Kommune, an ihrer Schule und in ihrem Verein beteiligt zu werden. Ein positives Jugendbild, Investitionen in die Jugendbildung und verbindliche Beteiligungsverfahren auf allen Ebenen – das stärkt unsere Demokratie auf lange Sicht und über Wahlen hinaus.
Die U18-Wahl zur Bundestagswahl findet wieder von 7. bis 14. Februar 2025 statt. Welche Rolle spielt die U18-Wahl für die politische Bildung junger Menschen?
Die U18-Wahl ist mehr als nur eine „Probewahl“ in einem Wahllokal: Vielfältige Aktionen wie Podiumsdiskussionen, Workshops und Mitmach-Materialien machen die U18-Wahl zu einem Projekt der politischen Bildung, das aus der Lebenswelt von jungen Menschen heraus gedacht wird und ihnen ermöglicht, sich mit politischen Prozessen auseinanderzusetzen. Das Besondere: Alle jungen Menschen unter 18 dürfen mitmachen, auch jene, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Auch sie haben das Recht auf Beteiligung und auf Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft – das kann durch die U18-Wahlen zumindest ansatzweise gelingen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Patrick Wolf, Referent für Kommunikation der Evang. Jugend in Bayern
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Grafik oben: istock/smartboy10
Foto im Text: Paz Olivares Droguett