Etwa 100 junge Menschen aus aller Welt kamen im Vorfeld der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) zusammen. Ich durfte das viertägige Treffen für junge Delegierte im September in Krakau/Polen mitorganisieren.
Unser Hauptziel war, die Anliegen aller zu einer “Message” zu bündeln. Diese würde im Plenum der Vollversammlung vorgetragen werden. Keine leichte Aufgabe, bei dieser Vielfalt an Meinungen geschlossen die Anliegen junger Menschen vorzubringen.
Das Thema „Sexualität“ ist im LWB besonders strittig.
Das Thema „Sexualität“ und inwieweit unsere Kirchen inklusiv für queere Menschen sind, war besonders strittig. Einige Delegierte fühlten sich unwohl, darüber zu sprechen. Für viele war es ein Tabuthema, manche lehnten sexuelle Diversität gar ab. Dennoch sprach eine Mehrheit sich klar für eine offene Kirche, für die LGBTQI+ Gemeinschaft und den Schutz ihrer Rechte aus.
Im Redaktionsteam diskutierten wir lange darüber, in welcher Form das Thema Einzug in die “Youth Message” finden sollte. Gerade wir Delegierte aus den westlichen Ländern waren schnell dabei, scharfe Formulierungen zur Offenheit gegenüber sexueller Diversität einzufordern. Andere bestanden darauf, das Thema überhaupt nicht anzusprechen. Am Abend, bevor das junge Plenum über die “Message” abstimmen musste, stritten wir bis tief in die Nacht.
Freiheit von queeren Menschen ist in den meisten Ländern der Welt alles andere als selbstverständlich.
Eine sonst eher stille Kollegin aus Indonesien brachte schließlich in Erinnerung, dass die Freiheit von queeren Menschen in den meisten Ländern der Welt alles andere als selbstverständlich ist. Delegierte aus Ländern, in denen Homosexualität unter der Todesstrafe steht, könnten in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, käme heraus, dass sie an der Erstellung eines Statements beteiligt waren. Andere befürchteten Konsequenzen seitens ihrer Kirchenleitungen. Sie riskierten Schwierigkeiten in ihrer Arbeit in der Kirche oder Konflikte innerhalb der Familie.
Überzeugung geschieht in der direkten Begegnung und im Gespräch.
So entschlossen wir uns, keine explizite Formulierung über Sexualität in unsere Message aufzunehmen. Dies war für uns keine Niederlage, vielmehr ist es eine Erkenntnis, dass zu diesem Zeitpunkt in der globalen Gemeinschaft lutherischer Kirchen, der Weg der Emanzipation der LGBTQI+ Gemeinschaft noch nicht über öffentliche Statements in “Messages” führt.
Menschen werden nicht durch theologische Argumente oder hart erkämpfte öffentliche Statements von ihrer homophoben Haltung abgebracht. Ich habe gelernt, dass dies am besten in der direkten Begegnung mit queeren Menschen geschieht, vor allem in Gesprächen auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt.
Damit das möglich ist, braucht es Räume der Begegnung und Menschen, die mutig sind, sich auf diese zehrenden Konversationen rund um die Sexualität einzulassen. Denn gerade heute, wo Gemeinschaften drohen, an kulturellen und sozialen Uneinigkeiten zu zerbrechen, ist es wichtig, sich mit unterschiedlichen Menschen in solche Gespräche zu wagen.
Tim Götz
Ehrenamtlicher der EJB und aus dem Dekanat Castell, wurde zum Mitglied des Rats des Lutherischen Weltbundes gewählt. Im Rat ist er außerdem noch im Weltdienstkomitee, dem Aufsichtsgremium des Weltdienstes, also der Abteilung für humanitäre Arbeit.
Dieser Beitrag wurde auch in der zett. Zeitung für evangelische Jugendarbeit in Bayern, Ausgabe Herbst 2023 veröffentlicht.
Foto unten: privat
Nicht ganz normal… Norm-iert – Gotteskind
Eine Andacht von Michael Stritar zum Thema „queer“