Armut ist nur selten sichtbar
Jugendarbeit kann etwas tun
Wenn wir arme oder von Armut bedrohte junge Menschen sehen, sehen wir oft Personen, die sich auf den ersten Blick kaum oder gar nicht von uns unterscheiden. Armut bei jungen Menschen ist wenig sichtbar, da sie kaum über eigenes Geld verfügen. Auch mit BAFöG oder einer Ausbildungsvergütung sind sie in der Regel knapp bei Kasse.
15 bis 25 – eine verwundbare Lebensphase
Trotzdem gibt es zwischen den Lebenslagen junger Menschen enorme Unterschiede: BAFöG oder Ausbildungsvergütung abgefedert durch Eltern, die ihre Kinder regelmäßig oder zumindest im Notfall unterstützen, bedeutet wenig Geld auf dem Konto zu haben. Das Risiko, in echte Notlagen zu geraten, ist jedoch wenig wahrscheinlich.
Interessanterweise ist in Bayern die Armutsgefährdungsquote der 15- bis 25-Jährigen die höchste im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen. 2020 waren es laut Statistik 286.000 junge Menschen. Dahinter verbergen sich in dieser verwundbaren Lebensphase eine ganze Reihe problematischer Lebenslagen: Ich möchte studieren, bin aber nicht BAFöG-berechtigt, weil es nicht elternunabhängig gewährt wird, meine Eltern unterstützen das Studium nicht, oder die Eltern sind unterhaltspflichtig, übernehmen aber den Unterhalt nicht bzw. nur in geringem Umfang. So wird die Situation für junge Menschen schnell prekär.
2021 lebten etwa 49.700 junge Menschen in Bayern mit ihren Familien von Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich Hartz IV) – heute Bürgergeld. Als junge volljährige Menschen verfügen sie damit über 402 Euro im Monat, Wohnen und Nebenkosten nicht eingerechnet. Von zu Hause ausziehen dürfen sie nur mit Erlaubnis des Jobcenters, ziehen sie ohne Erlaubnis aus, müssen sie mit diesen 402 Euro auskommen. In den 402 Euro sind z.B. vorgesehen: 6 € pro Tag für Essen und Trinken, ca. 25 € pro Monat für ein ÖPNV-Ticket, unter 1 € im Monat für Bildung und 12 € im Monat für Freizeitaktivitäten. So werden eigene Lebenspläne in vielen Fällen durch das Jobcenter gesteuert.
Ohne Schulabschluss kein Ausbildungsplatz
Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss im Vergleich zur gleichaltrigen Bevölkerung in Bayern 5,1 %, ca. 40.000 junge Menschen. Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind gering: Laut Statistik des DGB sind nur ca. 4 % aller Ausbildungsplätze ohne Schulabschluss erreichbar. Die Arbeitslosigkeit junger Menschen in Bayern ist im deutschlandweiten Vergleich sehr niedrig. Und doch sind ca. 20 % länger als sechs Monate arbeitslos. In der Statistik gelten sie als langzeitarbeitslos, mit allen finanziellen und psycho-sozialen Folgen.
Jugendarbeit kann etwas tun
Arbeits- und Ausbildungslosigkeit gepaart mit finanziellen Problemen machen es jungen Menschen sehr schwer, altersgemäß am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Hier kann die Evangelische Jugend ansetzen – ganz jesuanisch –durch Sensibilität gegenüber prekären Lebenssituationen Gleichaltriger im nahen Umfeld, in der politischen und in der kirchlichen Gemeinde.
Armutssensible kirchliche Jugendarbeit bedenkt finanzielle Ungleichheiten und schafft Möglichkeiten der Teilnahme an Zeltlagern, Freizeitgestaltungen ohne oder mit geringen finanziellen Beiträgen. Diese Angebote können dann ohne Hürden und Scham genutzt werden.
Je nach Situation kann Jugendarbeit das Thema Wohnen für junge Menschen aufgreifen und auch gemeindliche Netzwerke nutzen, um Wohnraum zu akquirieren. Andere Ideen wären, in den Räumen der Evang. Jugend einen öffentlichen Kleiderschrank für alle – auch für armutsbetroffene Jugendliche – einzurichten oder einen Spendentopf für in Not geratene junge Menschen.
Positionspapier der Landesjugendkammer
Mit viel Freude haben wir als Evangelische Jugendsozialarbeit (ejsa) das überaus gelungene Positionspapier der Landesjugendkammer vom Juni 2022 gelesen: „Kirche und kirchliche Jugendarbeit unterstützen und befördern politisch wichtige Maßnahmen, die die Situation junger Menschen entscheidend verbessern können – vom kostengünstigen oder kostenfreien ÖPNV bis zur Kindergrundsicherung, die den jungen Volljährigen direkt zukommen kann.“
Lasst uns am Kirchentag über jugendarmutssensible Kirche und kirchliche Jugendarbeit nachdenken und neue Ideen entwickeln. Wir laden herzlich ins Worldcafé (Zentrum Jugend) ein. Als Evangelische Jugend sollten wir immer im Blick haben:
Von Armut betroffene junge Menschen sind in unserem Umfeld oft näher als wir denken. Anzusehen ist es ihnen oft nicht.
Barbara Klamt, Geschäftsführerin der ejsa Bayern
Sie ist Diplom-Caritastheologin und Sozialpädagogin. Zuvor leitete sie die Jugendwerkstatt Ökomobil Garten- und Landschaftsbau München und war selbstständig in der Fortbildung, als Moderatorin und Organisationsberaterin.
Weitere Artikel dazu in unserer zett. Zeitung für evangelische Jugendarbeit in Bayern
Froh zu sein bedarf es wenig
Fotos:
oben: istock/golero
unten: ejsa Bayern