Die Macht in meinem Mund
Von der Bedeutung einer diskriminierungssensiblen Sprache
Nichts darf man mehr sagen heute!“, das bekommt man häufig zu hören, wenn man Menschen auf ihre diskriminierende Sprache aufmerksam macht. Gerade bei nicht mehr ganz jungen Menschen folgt darauf oft: „Früher hat das niemanden gestört.“ Meist sagen das Personen, die selbst nicht von diskriminierender Sprache betroffen sind, zumindest nicht regelmäßig. Bei mir ist das anders: Seit ich denken kann, sind Beschreibungen und Aussagen über mich fremdbestimmt.
Sprache ist ein Produkt ihrer Zeit.
Sprache ist nicht neutral oder objektiv, sondern ein Produkt ihrer Zeit, der Kultur und der Menschen, die sie nutzen. Mit ihr können wir viele verschiedene Dinge ausdrücken. Wertfrei oder diskriminierungsfrei ist Sprache allerdings nie, denn sie bedeutet Macht. Die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison sagte im Jahr 1993 in ihrer Nobelpreisrede: „Unterdrückerische Sprache repräsentiert nicht nur Gewalt, sie ist Gewalt.“
Sprache soll unser Verständnis erweitern.
Durch diskriminierende Sprache schreiben sich bestimmte (negative) Narrative über Personengruppen in unserem Denken fest und werden uns von klein auf mitgegeben. Sprache sollte jedoch helfen, Verständnis zu erweitern, und für den gegenseitigen Austausch stehen. Bei diskriminierungssensibler Sprache geht es also nicht darum, bestimmte Begriffe zu „canceln“ – wer hätte auch die Macht dazu –, sondern eher darum, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und dafür zu plädieren, dass wir freiwillig davon absehen, unsere Mitmenschen durch Sprache abzuwerten.
Verletzend, auch ohne Absicht
Bei diskriminierender Sprache denken viele wahrscheinlich als Erstes an Beleidigungen oder negative Ausdrücke. Es geht aber auch um Begriffe, die sich über Jahrzehnte in unserer Sprache etabliert haben und die strukturelle Benachteiligungen bestimmter Menschengruppen abbilden. Diskriminierende Sprache ist also nicht immer eindeutig oder wird absichtlich abwertend verwendet, trotzdem ist sie verletzend. Es gibt so viele Arten diskriminierender Sprache, wie es Formen der Diskriminierung gibt. Viele kennen sicher gendersensible Sprache, bei der man versucht, alle Genderidentitäten zu inkludieren und sexistische Sprachen zu vermeiden. Es gibt aber auch beispielsweise rassistische Sprache („N-Wort“ zur Herabwürdigung schwarzer Menschen), ausländerfeindliche Sprache („Flüchtling“ statt „Geflüchtete“), adultistische Sprache („Wir sind doch hier nicht im Kindergarten“) oder antisemitische Sprache („mauscheln“).
Selbstbezeichnungen statt Fremdzuschreibungen
Diskriminierungssensible Sprache versucht, die Definitionsmacht den Menschen zurückzugeben, die durch unseren jetzigen Sprachgebrauch unterdrückt werden. Das heißt Selbstbezeichnungen zu verwenden statt Fremdzuschreibungen (wie zum Beispiel „Sinti und Roma“ statt des „Z-Wortes“) und auf Wörter zu verzichten, wenn sie Personengruppen negativ beschreiben, ob bewusst oder unbewusst.
Gendern und Gerechtigkeit
Warum sollten wir überhaupt auf diskriminierungssensible Sprache achten? Weil man mit seiner Sprache definiert, wie bestimmte Menschen und ihre Geschichten dargestellt werden. Mittlerweile weisen viele unterschiedliche Studien nach, dass Gendern zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führt. Beispielsweise ergab eine Untersuchung mit 600 Grundschulkindern aus dem Jahr 2015 („Yes I Can“), dass Kinder sich mehr Berufe zutrauen, wenn diese gegendert präsentiert werden. Zudem geht es um Schutz von und Respekt für marginalisierte Menschen. Durch diskriminierungssensible Sprache werden Empathie und ein gewisses Verständnis für andere Lebensrealitäten sichtbar, sie vermittelt: „Ich sehe und respektiere dich.“
Selbstbild und Sprache im Widerspruch
Deshalb ist es wichtig, dass auch junge Menschen so früh wie möglich an inklusive und diskriminierungssensible Sprache herangeführt werden, damit wir Diskriminierung durch unsere Sprache nicht immer weitertragen. Dessen sollten sich idealerweise alle Menschen bewusst sein, die sich in der Jugendarbeit engagieren.
Zumal sich gerade Jugendliche oft nicht bewusst sind, was bestimmte Begriffe bedeuten. Ich zum Beispiel habe jahrelang als Jugendliche andere, die mich nervten, „Spast“ genannt – bis mich jemand darauf hinwies, dass das eine ableistische Bezeichnung ist – „Ableismus“ ist der Fachbegriff für die Diskriminierung behinderter Menschen. Erst dachte ich mir: Ich habe doch gar nichts gegen behinderte Menschen. Und, dass alle das Wort verwenden.
Aber genau das ist ein typischer Abwehrmechanismus gegen diskriminierungssensible Sprache: In meinem Selbstbild verhalte ich mich nicht diskriminierend gegenüber behinderten Menschen und denke deshalb, dass ich ableistische Sprache gar nicht verwenden kann. Das Wort „Spast“ kommt jedoch von „Spastiker“ und wird im Duden als „derb diskriminierend“ gekennzeichnet. Wir setzen hier den Begriff für eine Person mit einer spezifischen Krankheit mit einer Beleidigung gleich. Genau das zeigt wiederum, wie wir Menschen mit Spastiken betrachten. Es geht hier also nicht um meine Intention, sondern darum, was bei der anderen Person ankommt.
Bezeichnungen wie „behindert“, „dumm“ oder „Idiot“ zählen im Übrigen ebenfalls zur ableistischen Sprache.
Mit der Sprache bewusster umgehen
Eine Anmerkung zu diskriminierender Sprache sollte keinesfalls als Vorwurf verstanden werden, sondern als Anregung oder Aufruf dazu, mit der eigenen Sprache bewusster umzugehen. Ich habe gelernt, mich bei Menschen zu bedanken, die mich auf problematische Sprache hinweisen, denn sie helfen mir damit, mich gewählter und meiner Intention entsprechend auszudrücken. Sprache ist etwas, dass sich stetig wandelt – und wir können diese Veränderung positiv mitbestimmen, wenn wir das wollen.
Seggen Mikael ist Beraterin bei DisCheck, einem Beratungskollektiv für alle, die ihre Medieninhalte und interne Strukturen diskriminierungssensibel, intersektional und authentisch divers gestalten möchten. Außerdem arbeitet sie als Kulturmanagerin, Moderatorin und Kuratorin.
Erstveröffentlichung in juna – Zeitschrift des Bayerischen Jugendrings, Ausg. 4/2023, S.3-4
Foto oben: istock/Anastasiia Yanishevska
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