Landliebe, nicht nur auf dem Dorf!
Was?! Wo kommst Du her? Aus diesem Kaff?!
Die Reaktion auf diese Frage ist ein wichtiger Hinweis für Zielgruppen evangelischer Jugendarbeit.
Mit ländlichen Räumen ist es wie mit jungen Menschen. Sie entziehen sich einer präzisen Definition. Wenn, wie der Jugendforscher Arthur Fischer sagt, junge Menschen jung und ansonsten unterschiedlich sind, gilt das auch für ländliche Räume. Lange Zeit habe ich diese Parallele nicht erkannt. Alle Begriffsbestimmungen, die ich in Werken der Regionalforschung, Agrargeografie oder Sozialraumsoziologie las, hinterließen in mir Jugendarbeiter ein unbefriedigendes Gefühl: zu technokratisch, zu abstrakt, zu belanglos für genau die jungen Menschen in genau dem Dorf, mit denen ich gerade arbeitete.
Heimat ist die gelingende Beziehung von Mensch und Raum
Für die Jugendarbeit erschließt sich der Zugang in ländliche Räume ohnehin nicht über die Landkarte. Wenn Jugendarbeit Beziehungsarbeit ist, gilt das auch für den Raum, in dem junge Menschen leben. Gelingt die Beziehung zwischen Mensch und Raum, entsteht Heimat. Jugendarbeit kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Lasst uns eine Praxisübung machen. Lasst uns in ein Dorf gehen, irgendwo in Bayern. Sprechen wir einen Jugendlichen an und stellen die Eingangsfrage dieses Artikels. „Wo kommst Du her?“ Sagen wir „Kaff“ zu seinem Dorf. Die emotionale Reaktion ist spannend.
Der Regionalforscher Albert Herrenknecht geht davon aus, dass junge Menschen unterschiedliche Bindungen zu ihrem Sozialraum entwickeln. Wer sich von der Wortwahl provoziert fühlt, gar Gewalt androht, hat dörfliche Identitätsmerkmale. Er ist Zielgruppe der Landjugend – der Gruppe junger Menschen, denen kluge Gemeinden Heimat bieten und christlich verwurzelte Dorfkultur ernten.
Formuliert unser Gegenüber gar Zustimmung „Nix wie weg aus diesem Kaff!“ überwiegen eher regionale oder jugendkulturelle Identitätsmerkmale. Hier sind andere Arbeitsformen und Aktionsorte evangelischer Jugendarbeit besser geeignet: Freizeiten, zentrale Angebote der EJ und ihren Verbänden in zentralen Orten der Region.
Jugendarbeit für Versöhnung auf Deinem Teller
Dass die Evangelische Jugend in Bayern beschlossen hat, in ihren Veranstaltungen auf Fleisch zu verzichten, findet Andrea Feuerstein zu kurz gedacht. Die 27-jährige Tierärztin ist Vorsitzende des Agrarsozialen Arbeitskreises (ASA) der Evangelischen Landjugend, der über 500 praktizierende Landwirt:innen vernetzt. Als Verbraucher:in bewusste Entscheidungen zu treffen, findet sie gut, dafür bietet der ASA Workshops auf Bauernhöfen und andere Veranstaltungen an. Landwirtschaft ohne Tierhaltung hält sie in unserer Region nicht für sinnvoll. Fehlt die Gülle müsse künstlich gedüngt werden. „Auch wenn es manche nicht gerne hören: Hier leistet Fleischkonsum einen Beitrag zur Nachhaltigkeit.“
Sophia Meyer, die als gelernte Technikerin für Landbau jetzt Landwirtschaft mit Schwerpunkt Ökologie studiert, hat schon auf Betrieben in Kanada und Australien gearbeitet. Sie schätzt den Vorteil der Tierhaltung für den Erhalt von Weideland. Auch das sei ein Beitrag zum Klimaschutz. „Wenn sie nachhaltig beweidet werden, können Graslandökosysteme dazu beitragen, Kohlenstoff im Boden zu speichern.“
Nicht wenige Landwirt:innen empfinden kirchliche Positionen wie die der EJ als Provokation. Sie verstehen den Einsatz für die Schöpfung, fühlen sich aber mit ihren eigenen Nöten nicht mehr gesehen. Der Frust ist groß. „Die Dinge hängen zusammen“, sagt Andrea Feuerstein und meint die Sorgen auf den Betrieben, die fehlende Wertschätzung, die Verschwendung von Lebensmitteln, den Flächenverbrauch, die steigenden Pachtpreise und den immer schwerer werdenden Dialog in der Gesellschaft.
Weil die Dinge zusammenhängen, weil die ELJ sich in der Mission für junge Menschen und ländliche Räume sieht, sät sie das nächste Projekt: „Agrarbildung“. Für Versöhnung an der Schnittstelle zwischen Ernährung, Landwirtschaft und der Sehnsucht junger Menschen werden schon jetzt Engagierte gesucht.
Manfred Walter
Landessekretär der Evangelischen Landjugend inBayern. Als Heimatpädagoge begleitet er Menschen und Organisationen in gelingende Beziehungen zu ländlichen Räumen.
Der Landesjugendkonvent der Evang. Jugend in Bayern tagte am Christi-Himmelfahrtswochenende zum Thema „Stadt statt Dorf?“. Manfred Walter hielt dazu den Impulsvortrag.
Foto: K. Pelzner