Seid sensibel und achtsam! Schaut hin! Hört zu!

Ein Interview mit Martina Frohmader

 

Im Januar ist die ForuM Studie der EKD zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland erschienen. Die Ergebnisse sind in ihrem Ausmaß erschreckend und zeigen auf, dass wir gerade für Kinder und Jugendliche nicht immer ein Schutzort sein konnten.

 

zettMagazin hat Martina Frohmader, die Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB, gefragt, was sie sich von der EJB wünscht, damit Kinder und Jugendliche bei allen Angeboten einen sicheren Schutzraum haben.

 

Liebe Martina, du warst bei der Evangelischen Jugend in Bayern (EJB) acht Jahre für das Thema „Prävention sexualisierter Gewalt“ zuständig. Wie geht es Dir damit, dass trotz der intensiven Präventionsarbeit innerhalb der EJB doch noch so viel passiert?

Es wundert mich nicht. Wenn ein Thema sprachfähig wird, melden sich auch mehr Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Was früher verschwiegen wurde, kommt jetzt zur Sprache.

 

Bis Strukturen wirken und Sensibilität geschaffen wird, braucht es Zeit. Damit diese Strukturen wirken, müssen sie vor Ort gut umgesetzt und gelebt werden. Verantwortung muss übernommen werden und niemand darf wegsehen. Es gibt also noch viel zu tun. Das Thema wird uns immer begleiten und es ist an uns, hinzuschauen und hinzuhören.

 

Was forderst Du von der EJB? Was können wir tun, damit wir für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen einen wirklichen Schutzraum bieten?

Beschäftigt euch weiterhin mit dem Thema. Zeigt Profil. Geht in die Verantwortung und stellt genügend Ressourcen zur Verfügung. Bringt euch aktiv in die Schutzkonzeptentwicklung in Dekanaten und Gemeinden ein. Setzt euch mit eigenen Geschichten, eingefahrenen Ritualen, Bildern, Gewohnheiten und Umgangsformen auseinander und reflektiert diese – gerade im Bezug auf das Thema der sexualisierten Gewalt.

 

Geht das Thema sexuelle Bildung an. Die jungen Menschen, die in der EJB aktiv sind oder an ihren Angeboten teilnehmen, sind in dem Alter, in dem sie erste Erfahrungen mit Beziehungen, auch Liebesbeziehungen zu Gleichaltrigen, machen. Sprecht mit den Jugendlichen darüber: Was wünschen sie sich für eine Beziehung? Welche Erwartungen haben sie? Aber auch welche Grenzen sind für sie wichtig? Wie können sie diese Grenzen klar benennen? Wie werden sie sensibel auch für die Grenzen der Anderen und warum ist es so wichtig, diese einzuhalten und zu respektieren? Was sind gelungene Beziehungen und was nicht?

 

Zur Grundkursausbildung gehört das Thema „Prävention von sexualisierter Gewalt“ dazu. Dies ist aber der zweite Schritt. Genauso wichtig ist der erste Schritt – eine fundierte sexuelle Bildung, die auch die oben genannten Fragen immer wieder aufgreift.

 

Den Hauptberuflichen kommt dabei eine besondere Verantwortung zu: Erstens, zu erkennen, wie wichtig sexuelle Bildung ist und zweitens jungen Menschen passende Formate und Schutzräume anzubieten. Dabei sollten Sie auch sich selbst, ihre Motivation, ihre Aufgabe und ihre Rolle immer wieder reflektieren und sensibel und achtsam sein für Grenzüberschreitungen, die in ihrem beruflichen Alltag, und in ihren sonstigen Bezügen passieren.

 

Kinder und Jugendliche haben Erwartungen, wollen Gemeinschaft erleben und spirituelle Erfahrungen machen. Sie suchen Geborgenheit und wollen sich auch austesten. Aufgabe der EJB ist es, dafür den richtigen Rahmen zu bieten im Blick auf die persönlichen Räume sowohl aller Teilnehmenden als auch der Leiter:innen und einen reflektierten Umgang diesbezüglich zu ermöglichen. Der Respekt, die Achtung und das Einhalten persönlicher Grenzen sind Voraussetzung für eine wirksame Prävention und eine gelungene Jugendarbeit.

 

Liebe Martina, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Dir viel Energie und Kraft für Deine Arbeit.

 

Das Gespräch führte Ute Markel, Online-Redakteurin.

Martina Frohmader ist Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB. Zu ihren Aufgaben gehört, mit dem Team Standards für Prävention, Intervention und Aufarbeitung zu entwickeln und umzusetzen. Dabei seien klare Strukturen wichtig, betont Frohmader. Gerade in dem sich ständig verändernden System Kirche „braucht es klare Strukturen, Handlungsanleitungen und Informationen zum Thema sexualisierte Gewalt, die allen bekannt sein müssen“.

 

Martina Frohmader war von 2014 bis 2022 Referentin für Prävention von sexualisierter Gewalt der Evang. Jugend in Bayern und hat diesen Arbeitsbereich entscheidend geprägt und weiterentwickelt. Sie war maßgeblich an der Schaffung des Netzwerks von Vertrauenspersonen der Evang. Jugend in allen Dekanaten beteiligt und bot umfangreiche Seminare an, in denen die Vertrauenspersonen auf ihre Aufgaben fundiert vorbereitet wurden. 2017 erschien unter ihrer Federführung die überarbeitete Fassung der Arbeitshilfe „Bei uns nicht! Prävention von sexualisierter Gewalt im Jugendverband.“

 

Geschichte der EJB zur Prävention von sexualisierter Gewalt

Bei uns nicht! Bereits im Jahr 2000 setzte die Evangelische Jugend in Bayern  eine Arbeitsgruppe zum Thema „sexueller Missbrauch“ ein. Ziel war es, ein Aktionsprogramm zum Thema „Prävention sexuellen Missbrauchs“ für die Jugendarbeit zu entwickeln. 2003 startete dann die Initiative „BEI UNS NICHT“. Eine Arbeitshilfe und ein Verhaltenskodex für Mitarbeitenden in der Jugendarbeit, verabschiedet von der Landesjugendkammer, wurden veröffentlicht. Es wurde ein Netzwerk von Vertrauenspersonen für die Dekanate aufgebaut und ein Schulungsprogramm für diese entwickelt. 2017 erschien dann eine komplett überarbeitete Fassung der Arbeitshilfe „BEI UNS NICHT“ Prävention von sexualisierter Gewalt.

 

Im März 2023 wurde das bereichsbezogene Schutzkonzept der EJB vorgestellt.

 

Mehr Informationen unter www.ejb.de

 

Bilder oben: Logo „BEI UNS NICHT“ von 2003 (links) und von 2017 (rechts)
Bild im Text: ELKB